Impf­stoff-Krise: Hat die EU doch nicht so schlecht verhandelt?
In der EU ist Corona-Impfstoff weiter Mangelware. Wie gravierend sind die Fehler der EU? Aktuelle Medien­berichte scheinen die EU-Kommission zu entlasten. Die EU habe mit Astrazeneca einen ähnlichen Vertrag abgeschlossen wie Großbritannien. Tatsächlich?
Aktualisiert 24.02.2021, 10:27 Uhr

In der gesamten EU gibt es weiterhin einen dramatischen Mangel an Corona-Impfstoff. Freiblatt hat ausführlich analysiert, dass für diesen Mangel die EU-Kommission verantwortlich ist, und die Bundesregierung eine Mitverantwortung trägt.

Die EU hat offensichtlich mit den Herstellern schlecht verhandelt. Das zeigt sich vor allem daran, dass Großbritannien und die USA im Moment in hohem Tempo impfen können, während die EU hinterherhinkt.

Doch nun sind Medienberichte erschienen, die darauf hindeuten, dass die Kommission doch nicht so schlecht verhandelt habe: Die EU habe mit dem Pharmakonzern Astrazeneca einen ganz ähnlichen Vertrag abgeschossen wie Großbritannien, berichtet beispielsweise Zeit Online. Die FAZ scheint sich da sogar noch sicherer zu sein: "Der britische Vertrag ist auch nicht besser".

Stimmt diese Darstellung?

Die Berichte basieren auf einer Recherche von CNN. Der Nachrichtensender hat monatelang versucht, den Liefervertrag zwischen Astrazeneca und Großbritannien zu erhalten. Die britische Regierung hat sich bisher geweigert, den Vertrag herauszugeben. Der Vertrag sei geheim und eine Veröffentlichung gefährde die nationale Sicherheit. Die Regierung hat die Medien offensichtlich getäuscht, denn nun kam durch die CNN-Recherchen heraus: Der Vertrag ist bereits seit Monaten in einer öffentlichen Datenbank der britischen Regierung einsehbar. Nur hat niemand in den Tiefen der Datensätze danach gesucht. Tatsächlich lässt er sich unter diesem Link direkt abrufen, und zwar wohl schon seit September 2020.

Der Vertrag der Briten birgt tatsächlich zwei Überraschungen. Erstens ist im Text genau jene Klausel enthalten, die bei der EU kritisiert worden ist: Astrazeneca gibt keine Garantie für eine pünktliche Lieferung. Die Firma ist nur "nach bestem Bemühen" zur Lieferung verpflichtet, oder im englischen Original "Best Reasonable Efforts". Zweitens ist der Vertrag der Briten genau einen Tag nach dem Vertrag der EU abgeschlossen worden. Die EU-Kommission war eigentlich dafür kritisiert worden, dass sie die Verträge viel später abgeschlossen hat als die USA und Großbritannien.

Doch bei genauerem Hinsehen liefert der Vertragstext keine klaren Indizien zugunsten der EU-Kommission.

Die Verträge von Astrazeneca mit der EU und Großbritannien sind beide nicht vollständig veröffentlicht worden. Weite Strecken sind jeweils geschwärzt. Im britischen Vertrag wurden beispielsweise mehrere Absätze in einem entscheidenden Kapitel nicht veröffentlicht: Unter der Überschrift "Ordering" ist dort geregelt, wie Großbritannien die Bestellung der 100 Millionen Impfdosen auslöst. Es bleibt also unklar, ob Großbritannien hier andere Bedingungen verhandelt hat als die EU. Zudem sind auch die sichtbaren Teile der beiden Verträge keineswegs identisch.

Die Analyse der Vertragsdetails ist jedoch gar nicht entscheidend, weil das Ergebnis dieser Verträge gerade offen sichtbar wird: Großbritannien und die USA werden von den Impfstoffherstellern deutlich schneller beliefert als die EU. In Großbritannien sind pro 100 Personen bereits 27 Impfdosen verabreicht worden, in den USA 20, in der EU jedoch nur 6. Zudem fallen die EU-Länder immer weiter zurück: Allein in den letzten sieben Tagen hat Großbritannien pro 100 Personen weitere 4 Impfdosen verabreicht, die USA 3, Deutschland dagegen pro 100 nur 1 Impfdose. Zahlen für die Gesamt-EU liegen nicht vor, doch in Frankreich, Italien, Spanien und den Niederlanden sieht es ähnlich schlecht aus wie in Deutschland.

Wenn die USA und Großbritannien deutlich schneller beliefert werden, ist offensichtlich, dass sie bessere Verträge haben. Ein Grund dafür war, dass beide Länder viel früher unterschrieben haben als die EU. So haben sie es den Impfstoffherstellern rechtzeitig ermöglicht, die benötigten Produktionskapazitäten aufzubauen. Das Datum des jetzt veröffentlichten Vertrags zwischen Großbritannien und Astrazeneca ist irreführend: Tatsächlich war Großbritannien viel früher dran als die EU. Bereits im Mai 2020 hatte die britische Regierung mit Astrazeneca vereinbart, dass 100 Millionen Impfdosen geliefert werden. Fast gleichzeitig sicherten sich die USA bei Astrazeneca 300 Millionen Impfdosen. Die EU dagegen hat ihren Liefervertrag mit Astrazeneca erst Ende August 2020 abgeschlossen. Auch bei den anderen Herstellern war die EU-Kommission unter Ursula von der Leyen zu spät dran.

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